
Лекція “Українські музиканти – жертви сталінізму”
У Віденському музичному університеті пройшла лекція "Українські музиканти - жертви сталінізму". Музикознавиця проф. Любов Кияновська розповіла про видатних українських музикантів і композиторів, які творили у другій половині ХХ століття та зазнали переслідувань сталінського режиму. Після лекції оперна співачка Зоряна Кушплер виконала пісні деяких з них під акомпонемент Ірини Ніколаєвої.
Публікуємо конспект лекції для тих, хто не зміг бути присутнім!
Kulturelle Prozesse in der Ukraine der 1920er-1930er Jahre teilen sich scharf in zwei Perioden. Die 20er Jahre sind von Wachstum und rascher erfolgreicher Entwicklung der ukrainischen Kultur und nationaler Wiedergeburt gekennzeichnet. Dafür werden sie als „Ukrainisation“ bezeichnet. Nach 200 Jahren der Unterdrückung und Verfolgung jeder nationalen Bewegung seit Peter I. eröffnete das kräftige intellektuelle und geistige nationale Aufblühen eine große Perspektive, die selbstständig von der Sowjetunion war.
Bereits Ende der 20er Jahre stellte die politische Führung der UdSSR zunehmend aktiv Forderungen nach nach der ideologischen Ausrichtung der Bildung. Diese Forderungen sind klar in der Resolution X des Kongresses der Kommunistischen Partei (der Bolschewiker) vom 29. November 1927 „Über die Herausforderungen des kulturellen Aufbaus in der Ukraine“ formuliert worden. Darin wird das Bildungssystem als ein wichtigstes Mittel zur Durchsetzung kommunistischer Propaganda unter den arbeitenden Massen der Bevölkerung betrachtet, da „die ukrainische Kultur in Sprache, Form und Material als national und proletarisch, kollektivistisch und international inhaltlich“[1] verstanden wurde. In dieser Resolution tauchen auch nationale Perspektiven auf, sie verfolgt jedoch klar ein Hauptziel: „Das Wachstum und die Festigung sozialistischer Elemente in der gesamten Kulturarbeit sicherzustellen“[2].
Zu Beginn der 1930er Jahre kam es zu einem radikalen Bruch im gesamten sowjetischen Bildungssystem. „Die erste Hälfte der 30er Jahre wird von der Herausbildung eines zentralisierten Systems der Kunstvermittlung geprägt. Seit 1931 gibt es keine selbständige ukrainische Pädagogik mehr. In den russifizierten Schulen werden die einheitlichen Pläne und Programme der UdSSR verwendet, die Fächer des naturmathematischen Zyklus dominieren, die autoritär-disziplinäre Verwaltungsform wird eingeführt und der ideologische Kurs wird dominant. So wurde die ukrainische Schule zum Teil der allgemeinen pro-russisch-sowjetischen Kultur.“[3]
Seit 1933 sind Repressionen nie gekannten Ausmaßes gegen die ukrainische Intelligenz ausgebrochen. Der Schlag hat zwei Generationen der Intelligenz getroffen: die, die schon vor der Revolution aktiv war, und diejenige, die in den 20er Jahren in den Vordergrund getreten ist. Diese Generationen haben eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der ukrainischen Kultur, Kunst, Wissenschaft und Nationalausbildung im Allgemeinen gespielt, deshalb waren sie in erster Linie betroffen. Es kam zur sogenannten „erschossenen Renaissance“, d. h. zur Vernichtung der Mehrheit der intellektuellen und künstlerischen ukrainischen Elite der 20er und 30er Jahre. Sie wurde von Stalins totalitären Regimes teils in sibirische Lager verbahnt, teils verhaftet, doch großteils einfach ausgerottet[4]. Die genaue Zahl der Repressionen unterworfenen ukrainischen Künstler ist bis heute nicht bekannt. Zu diesem Kreis zählten auch viele Musikpädagogen, besonders diejenigen, die auf nationalen Traditionen aufbauten.
Die erschossene Renaissance – kulturelle, d.h. vor allem literarische und künstlerische Generation der 20er und 30er Jahre der Ukraine, die neue Wege in Literatur, Philosophie, Malerei, Musik, Kino und Theater beschritt, und die von Stalins totalitären Regimes teils in die sibirischen Lager verbahnt, teils verhaftet, großteils doch ausgerottet wurde. Der Terminus selbst stammt von dem polnischen Kulturforscher Jerzy Gedrojc. Zum ersten Mal verwendete er diese Formulierung im Brief von 13.08.1958 an den ukrainischen Literaturwissenschaftler, Emigranten in die USA Juri Lawrinenko (Юрій Лавріненко), welcher die Anthologie der verbotenen ukrainischen Literatur 1917 – 1933 auf Bestellung von Gedrojc zum Druck vorbereitete: „Was den Titel betrifft, vielleicht wäre ein verallgemeinerter Titel erwünscht, wie z. B. „Die erschossene Renaissance. Anthologie 1917-1933 etc.“ Dieser Titel wäre effektvoll“[5]. Dieses Buch erschien in der Bibliothek der Pariser „Kultur“, auf Initiative und auf Kosten von Jerzy Gedrojc, und bleibt nach wie vor eine der wichtigsten Quellen der ukrainischen Literaturgeschichte jener Periode[6]. Der Terminus „die erschossene Renaissance“ hat noch eine andere Bedeutung: der ganze Prozess der Zerstörung der ukrainischen schöpferischen Intelligenz von Sowjetstraforganen in den 30er Jahren des XX. Jahrhunderts[7].
Die genaue Zahl der Repressionen unterworfenen ukrainischen Künstlern ist bis heute nicht bekannt. Einigen Berichten zufolge erreicht diese Zahl bis 30.000 Menschen[8]. Doch ganz strikt faktisch argumentiert bestimmt man die Anzahl der verfolgten Schriftsteller nach ihren Publikationen in den frühen und späten 1930er Jahren. Nach den Angaben des Verbandes der ukrainischen Schriftsteller „Wort“ (Cлово) (der Verband ukrainischer Schriftsteller im Exil) von 20. Dezember 1954, 1930 erschienen in verschiedenen publizierten Formen Werke von 259 ukrainischen Schriftstellern, nach 1938 – nur von 36 Autoren (13,9%). Nach Angaben obengenannter Organisation, 192 der „fehlenden“ 223 Autoren wurden verfolgt oder vernichtet (sofort im Gefängnis erschossen; in den Lagern in Sibirien interniert und dort meistens auch exekutiert), 16 verschollen, 8 Selbstmord begangen[9]. Diese Daten sind in voller Übereinstimmung mit dem Martyrologium ukrainischer Schriftsteller, das Oleksij Musijenko (Олексій Мусієнко) zusammengestellt hat. Er erwähnt 246 Schriftsteller als Opfer des stalinistischen Terrors. Die politischen Säuberungen erreichten ihren Höhepunkt am 3. November 1937, als „zu Ehren des 20. Jahrestages der Großen Oktoberrevolution“ im Lager Solowki ein Sonderdienst nach dem Urteil von „Trojka“[10] mehr als 100 „ukrainische bürgerliche Nationalisten“, die Blüte ukrainischer Kultur und Wissenschaft erschossen hat.
Im Vergleich mit Literatur kann die Situation in der Musik auf den ersten Blick viel „milder“ aussehen. So ein massenhaftes Erschießen, wie in literarischen Kreisen, ist im professionellen Musikmilieu nicht passiert. Die Unterdrückung nationaler Musikkultur erwarb meistens andere Formen, obwohl es auch oft Opfer gab, die aufgrund ihrer ukrainischen Herkunft und Nationalität ihr Leben verloren.
Daher können die Verluste der ukrainischen Musik binnen der dunklen stalinistischen Zeit in vier Gruppen eingeteilt werden:
1. menschliche, d.h. getötete oder durch den Regime vertriebene Musiker;
2. schöpferische, die sich in der wesentlichen Verringerung künstlerischer Freiheit erschienen;
3. institutionelle, d.h. das Verbot und die Auflösung mehrerer Lehranstalten, Musikvereinen, anderen offenen Musikinstitutionen, die nationale Kultur propagierten;
4. informationelle, in deren Konsequenz man ein verfälschtes Bild ukrainischer Musikkultur bekommt: die ganze Reihe von Artefakten wurden verschwiegen, andere – der russischen Musik zugeschrieben, andere ukrainische Musikwerke verächtlich als „minderwertig“ betrachtet.
Eine grausame Begebenheit in blutiger Geschichte 30er Jahre, die mit dem schrecklichen Massenmord der Hunderten hilfslosen Menschen beendet hat, ist eng mit einer einzigartigen Art nationaler Musikkultur wie „Kobzarenschaft“ verbunden. Es war die Kunst des Rezitierens und Singens über historische Themen, einzigartige umfangreiche epische Kompositionen, die von blinden Volkssängern aufgeführt wurden. Diese Sänger reisten mit ihren jungen Blindenführern von Dorf zu Dorf und verbreiteten Kenntnisse von der Vergangenheit ihrer Heimat. Sie wurden im Dezember 1933 schonungslos und dabei – in tiefstem Geheimnis erschossen und begraben. Alle Spuren wurden sorgfältig verwischt, sodass die Information davon mehrere Jahrzehnte nur mündlich in den „geweihten Kreisen“ zirkulierte. Erst nach 1991 begann der Prozess der Wiedergeburt historisches Gedächtnis und im Bezug darauf erinnert man an das Schicksal ukrainischer Kobzaren.
Außer den Volkssängern haben auch manche bedeutenden Komponisten und Interpreten das tragische Schicksal der Literaten geteilt. Unter ihnen verdienen eine besondere Erwähnung zwei Namen: Hnat Chotkewytsch und Wassyl Werchowynets. Doch diejenigen, die außerhalb der Gefängnismauern blieben, zitterten ständig um ihr Leben, besonders wenn ihre bisherige Biographie „ungünstige“ Seiten hatte. Man sollte betonen, dass unter den Druck kommunistischer Funktionäre meistens talentvolle, vielseitige, gesellschaftlich aktive und national bewusste Künstler gerieten. Der beste Beweis für diese Hypothese sind die beiden oben erwähnten Komponisten.
Diese beiden Biographien sind in mehreren Knotenpunkten ähnlich: talentvolle, freidenkende Künstler mit den breiten und mannigfaltigen Interessen wollten sich ihren geistigen Zielen widmen. Dabei – was klar in ihrem Lebenstrieb zu merken ist – waren beide politisch eher neutral, gehörten zu keinen oppositionellen Organisationen und waren bereit, mit der neuen Macht ordentlich zusammenzuarbeiten. Ihre Hinrichtung hatte wie der Massenmord von Kobzaren nur ein Ziel: die nationale und kulturelle Wiedergeburt von Ukrainern zu verhindern und mit allen Mitteln ins Bewusstsein des Volks das Minderwertigkeitskomplex durchzudringen. Man brauchte 20 Jahre nach ihrem Tod, um sie zu rehabilitieren, aber auch dann wurde ihr schöpferisches Erbe kaum popularisiert.
Gab es in Galizien noch vor dem Zweiten Weltkrieg eine nationale ukrainische Kulturtätigkeit, so fiel nach 1945 endgültig der Eiserne Vorhang auf dem gesamten Territorium, auf dem Ukrainer lebten. Wie schmerzhaft empfunden diese intellektuelle und geistige Beschränkung die Galizianer, unabhängig von ihrer Nationalität, welche Verluste erlitt die ukrainische Musikkultur Galiziens? Lassen Sie mich diese Frage anhand einiger Beispiele beantworten. Dazu lohnt es sich, kurz zu skizzieren, welche Traditionen hier durch die kommunistische Ideologie zerstört wurden.
Im multikulturellen Milieu Galiziens herrschten über Jahrhunderte Freiheit und dementsprechend Vielfalt von Weltanschauungen, die teilweise heftig miteinander konkurrierten, sich aber trotz scharfen Kampfes und schwieriger politischer Konfrontationen in den entsprechenden sozialen und nationalen Schichten bewahrten. Plötzlich wurde nur eine Denkensart zum Gesetz. Alle Künstler, Wissenschaftler, Vertreter der Intelligenz, die mit der neuen Politik nicht ganz einverstanden waren oder eine “verdächtige” Biographie hatten[11], wurden verfolgt.
Dieser „verdächtige“ Kreis umfasste mindestens 25% der galizischen Bevölkerung, die unterdrückt und nach Sibirien und Kasachstan verbannt wurden. Die anderen 75% der Bürger mussten sich an die neue Ordnung irgendwie anpassen. Das war besonders schwierig für Künstler, die im österreichischen Reich, dann im polnischen Staat einer gewissen schöpferischen Freiheit gewohnt waren. Es ist kein Zufall, dass vielen von ihnen unterdrückt wurden, u.a. Wassyl Barvins’kyj, der 1948 als Opfer der kulturpolitischen Säuberungen nach Sibirien verbannt und seine Werke verbrannt wurden, sowie andere Musiker wie Wolodymyr Flyss (1924–1987), die Familie der weltberühmten Sängerin Salomea Kruschelnitska, darunter auch der damals 10-jährige Myroslav Skoryk, später bekannter Komponist, Borys Kudryk und viele andere.
Ich hoffe, all diese Fakten, die ich hier angeführt habe, zeigen klar, wie stark und konsequent bedeutende ukrainische Komponisten und ukrainische Musik als geistiges Zeichen des Volkes vernichtet, vertrieben, verurteilt und verfälscht wurden.
[1] Культурне будівництво в Українській РСР. Найважливіші рішення Комуністичної Партії і Радянського Уряду 1917-1959 рр.: зб. док. : у 2 т. Т. 1. (1917-червень 1941 рр.). (Київ: Держ. вид. політ. літ. УРСР, 1960), 365
[2] Ibidem. С. 345.
[3] Людмила Сбітнєва. Розвиток системи музично-естетичного виховання в Україні: історико-педагогічний дискурс (Київ: Педагогічна думка, 2015), 85.
[4] Sieh dazu: Agnieszka.Korniejenko. Rozstrzelane odrodzenie (Kraków, Przemyśl: Towarzystwo Przyjaciół Nauk w Przemyślu, 2010)
[5] Єжи Ґедройць – українська еміґрація. Листування 1952–1982 років. Упорядкування, переднє слово і коментарі Боґуміли Бердиховської. – Київ: Критика, 2008. – C. 86 // Jeshy Gedrojc – Ukrainische Emigration. Briefwechsel 1952-1982. Bogumila Berdychowska (Hrsg.), Kyiv, Krytyka, 2008, S. 86.
[6] Dieses Buch wurde später in der Ukraine neu herausgegeben, nach der 2. Auflage sind alle Zitate in vorliegendem Vortrag angeführt: Юрій Лавріненко. Розстріляне Відродження – Київ: Смолоскип, 2004 // Jurij Lawrinenko. Die erschossene Renaissance. Kyiv, Smoloskyp, 2004.
[7] Кордон М. В. Українська та зарубіжна культура: курс лекцій. – К., 2002. – C. 298 // Mychajlo Kordon. Ukrainische und ausländische Kultur: Lektürkolleg. Kyiv, 2002, S. 298 //
[8] Червоний ренесанс. Фільм третій: Безодня (1930–1934). – Кіностудія «Контакт», 2004. – 12:06/51:33 // Die rote Renaissance. Film Nr 3: der Abgrund (1930-1934), das Kinostudio „Kontakte“, 2004, Zeitspanne 12:06/51:33.
[9]Grigorij Kasjanow. Ukrainische Intelligenz… S. 188.
[10] Trojka war in der sowjetischen Geschichte eine Kommission von drei Personen, die Strafen gegen verhaftete Personen verhängen konnte.
[11] Ganz verschiedenartige ‚Schuld‘ konnte Grund für eine verdächtige Biographie sein: Verdächtig konnte es sein, wenn man Verwandte hatte, die Priester waren, oder während des Kriegs in die USA (bzw. andere Länder) emigrierten, oder wenn man selbst oder Verwandte verschiedenen Organisationen der nationalen Richtung angehörten, oder eine Ausbildung im Ausland absolviert hatten, oder vor dem Krieg ein privates Geschäft hatten, oder mit den verdächtigen Personen persönlich bekannt waren.

